Als mein Mann und ich Anfang der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts nach einem Haus im Großraum Darmstadt suchten, hatten es uns gerade die alten, weitgehend noch intakten Straßenzüge im älteren Teil Griesheims westlich der Friedrich-Ebert-Straße angetan, sowohl nördlich wie südlich der Wilhelm-Leuschner-Straße. Sie strahl(t)en, besonders, wenn man aus der Wilhelm-Leuschner-Straße einbog, etwas Freundliches, Heimeliges, Überschaubares, Wohnliches und Historisches aus.
Ihre typischen Satteldachhäuser prägen den Großteil des historischen Ortsbildes von Griesheim. Sie tragen zur Identität der Stadt bei.

Leider werden diese Straßen und Straßenansichten, meiner Einschätzung nach, von der Stadtentwicklung vernachlässigt und der Charme, der in ihnen steckt, nicht zur Geltung gebracht.

Diese alten Straßenansichten sind es wert, erhalten zu werden. Neu- und Umbauten in diesen Quartieren sollten sich in den typischen Gestaltungsmerkmalen, wie z.B. Traufhöhen, Winkel des Satteldachs, Fenstergröße und Fensteranordnung dem Altbestand anpassen.

Bauen unter Erhaltung des historischen Ortsbildes heißt nicht, dass moderne Anforderungen an das Wohnen über Bord geworfen werden müssen. Die Berücksichtigung moderner Wohnbedürfnisse nach Platz, Licht, Garten, Balkon sind durchaus damit vereinbar. Die länglichen Grundstücke erlauben in den meisten Fällen eine Ausdehnung nach hinten. Dafür gibt es in Griesheim gute Beispiele.

Der Bau sehr großer Mietshäuser wird im älteren seit vielen Jahren zugelassen. Aber dass diese Bebauung heute weiter praktiziert werden darf, empfinde ich als vertane Chance, der Stadt Griesheim ihr typisches, historisch gewachsenes Gesicht zu erhalten. Überdimensionierte Neubauten, wie z.B. in der Bessunger Straße, nahe August-Bebel-Straße oder das neue Mietshaus auf dem ehemaligen Gelände der Gastwirtschaft Zur Kanone, fügen sich nicht in das Straßenbild ein, sondern bleiben überdimensionierte Fremdkörper in einem ansonsten relativ harmonischen Straßenbild.

Was können wir tun, um weitere klotzige, überdimensionierte Mietsgebäude, die weitgehend dem Gesetz der Gewinnmaximierung folgen, zu verhindern?

  1. Einbindung der Bevölkerung in zukünftige Planungsprozesse, Befragung der Bürger nach ihren Wohnbedürfnissen und städtebaulichen Interessen.
  2. Aufklärung der Bürger über die baulichen Möglichkeiten, um modernes Wohnen und die Erhaltung des alten Ortbildes miteinander zu verbinden.
  3. Bestandsaufnahme der schützens– und erhaltenswerten Straßenabschnitte bzw. Quartiere und Ermittlung der charakteristischen Merkmale der alten Bebauung durch Fachleute.
  4. Definition von schützenswerten Straßen(abschnitten) bzw. Quartieren durch Fachleute in Absprache mit der betroffenen Bevölkerung.
  5. Einführung geeigneter Bauregeln für die zu schützenden Straßenabschnitte bzw. Quartiere (z.B. Gestaltungssatzung, Bebauungspläne, engere und konsequentere Anwendung des §34 BauGB, etc.) durch das Stadtparlament.
  6. Effiziente Kontrolle über die Einhaltung dieser Bauregeln durch die Bauaufsicht, die von der Stadtverwaltung und dem Stadtparlament unterstützt wird.
  7. Erhöhung des Wohnwertes in den alten Straßen bzw. Quartieren.
    Die Straßen gleichen immer mehr länglichen Parkplätzen. Durch eine Bepflanzung mit Bäumen würde das Straßenbild aufgelockert. Auch eine schöne Pflasterung, das Aufstellen von Bänken oder -in besonders schönen Abschnitten- die Einebnung von Bürgersteigen könnten mögliche Maßnahmen sein, um eine Atmosphäre in die Straße zu bekommen und sie für die Zukunft attraktiv zu halten. Natürlich würden durch die Baumbepflanzung Parkplätze verloren gehen, aber – sind wir ehrlich- so manches Auto wird aus lauter Bequemlichkeit eher auf der Straße als auf dem eignen Grundstück geparkt. Ein Einbahnstraßenkonzept könnte evtl. den Durchgangsverkehr reduzieren.

Es sollte wieder attraktiv werden, ein altes Haus zu erwerben und zu renovieren. Gelingt es nicht, die alten Stadtquartiere attraktiv zu gestalten, werden sie verkommen oder baulich zerstört werden.

Wie sehen die langfristigen Pläne zur Stadtentwicklung von Griesheim in den alten Straßen und Quartieren aus? Ist es das Ziel, die typischen 1-2-Familienhäuser, meistens mit Satteldach, nach und nach durch große Mietshäuser zu ersetzen? Wird der Anspruch auf eine gestalterische Geschlossenheit und die Erhaltung des historischen Ortbildes niemals erhoben?

Ich meine, nachdem nun mit viel Aufwand und liebevoller Hand der Urkern von Griesheim am Kreuz saniert wurde, die Wilhelm-Leuschner-Straße verkehrsberuhigt und verschönert wurde, etliche Neubaugebiete hinzugekommen sind, wäre es nun an der Zeit, das ältere Griesheim (vor 1945) aufzuwerten, zu verschönern und konzeptionell anzugehen.
Es geht nicht darum, Griesheims Entwicklung zu behindern. Die Ausweisung von Neubaugebieten und Gewerbegebieten ist richtig. Es geht darum, ein bauliches Erbe und gewachsene Wohnqualität zu erhalten und die Attraktivität von Griesheim zu erhalten und zu erhöhen.

Ich sehe Griesheim als schöne Wohn- und auch Gewerbestadt, mit erhaltenswerten alten Häusern und Straßenzügen. Wer das „Großstädtische“ sucht, kann bequem mit der Straßenbahn nach Darmstadt oder mit dem Zug nach Frankfurt fahren.
Griesheim bietet eben beides, die Nähe zum Städtischen einerseits und den historischen Charme des Kleinstädtischen mit direkter Anbindung an das Ländliche.
Letzteres gilt es meiner Meinung nach durch weiterführende, liebevolle und kreative Sanierung des Altbestandes zu erhalten und auszuschöpfen.

 

© Text & Bilder: Karla Jessen