Ein Leserbrief von Werner Schmachtenberg, Stellv. Fraktionsvorsitzender der WGG, veröffentlicht im Griesheimer Anzeiger am Fr. den 19.12.2018.:

Was von Einzelnen als gerecht empfunden wird, ist zuerst einmal subjektiv und damit sehr unterschiedlich. Stadtverordnete müssen jedoch eine Lösung finden, die von einer breiten Mehrheit der Bevölkerung als gerecht empfunden werden kann.
Auf dem Weg dorthin hilft der Philosoph John Rawls mit zwei Prinzipien. Zum einen mit dem Prinzip der Unparteilichkeit, bei dem man nicht weiß, ob man Grundstückseigentümer, Eigenheimbesitzer, Vermieter oder Mieter sein wird. Zum anderen mit dem Differenzprinzip, welches soziale Ungleichheiten nur dann legitimiert, wenn sie für den Schwächeren einen Vorteil bewirken. Zur Finanzierung der städtischen Ausgaben gibt es drei Möglichkeiten. Steuern, die in einen großen Topf kommen, aus dem verschiedenste Ausgaben finanziert werden.
Beiträge, die für etwas erhoben werden, welches die Beitragszahler prinzipiell benutzen können, aber nicht müssen. Gebühren, die für eine tatsächliche Nutzung erhoben werden. Dass Gebühren zur Finanzierung unserer städtischen Straßen nicht in Frage kommen, ergibt sich aus der Unmöglichkeit, Ihre Nutzung zu messen und die Nutzer entsprechend zu belasten. Außerdem wäre dies ungerecht, da auch eine nicht benutzte Straße Schaden nimmt. Sonnenstrahlung, Hitze, Wasser und Kälte setzen ihr mit der Zeit zu.
Eine Straße hat jedoch auch einen Nutzen, wenn sie gar nicht benutzt wird. Eine städtische Straße erschließt Grundstücke und macht so aus einer Wiese für wenige Euro/qm ein wertvolles Baugrundstück für derzeit etwa 500 Euro/qm. Also profitieren zwei Gruppen: Die Benutzer der Straße, aber ebenso die Eigentümer der Grundstücke, die sie erschließt. Da man die Benutzer der Straße nicht über Gebühren beteiligen kann, bleibt nur der Weg der Steuerfinanzierung für ihren Anteil.
Bei der Frage nach einer gerechten Verteilung der Lasten darf allerdings nicht nur die grundhafte Erneuerung der Straße gesehen werden, sondern auch ihr Bau und ihre Instandhaltung. Zum erstmaligen Bau werden von den Grundstückseigentümern Erschließungsbeiträge erhoben. Bereits hier hat der Gesetzgeber vorgesehen, dass 10% über Steuern zu bezahlen sind. Da von der Erschließung der Eigentümer profitiert, wird diese Regelung als gerecht angesehen. Im weiteren Lebensweg muss die Straße bis hin zur Erneuerung der Tragschicht instandgesetzt werden. Diese Schäden hängen von der Straßennutzung ab, daher muss dies gerechterweise durch Steuern finanziert werden, denn der Grundstückseigentümer ist nicht für den Gesamtverkehr vor seiner Haustür verantwortlich. Irgendwann hilft die Instandsetzung jedoch nicht mehr, die Straße ist in der Tiefe zerstört und muss grundhaft erneuert, also praktisch neu gebaut werden. Selbst die Sackgasse zu einem nicht genutzten Baugrundstück muss irgendwann einmal erneuert werden.
Der Grundstückseigentümer ist auf Dauer und nicht nur bei der Ersterschließung am Wert seines Grundstücks interessiert. Dann muss er zur Werterhaltung jedoch auch bereit sein, immer wieder die Straße, die sein Grundstück wertvoll macht, mit zu finanzieren. Er wird allerdings zu Recht einwenden, dass der Einfluss des Verkehrs auf den Verschleiß berücksichtigt werden muss. Dem hat der Gesetzgeber dadurch Rechnung getragen, dass je nach Verkehrsbelastung ein Anteil von 25% bis 75% der grundhaften Erneuerung durch Steuern zu finanzieren ist. Dies ist sachgerecht und damit gerecht, denn es schafft einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Erschließungsinteresse des Grundstückseigentümers und dem Nutzungsinteresse der Allgemeinheit. Er kann auch einwenden, dass er bei der gemeinsamen Sanierung der Straße und der Abwasser- und Wasserleitungen nicht mit den Kosten für die Leitungen belastet werden will. Diese Kosten gehören selbstverständlich zu den Kosten, die bei den Wasser- und Abwassergebühren mitberücksichtigt werden müssen. Und zwar einschließlich des Anteils der Straße, die deswegen neu gebaut werden muss.
Allerdings auch nicht mehr, das wäre wieder ungerecht gegenüber den Gebührenzahlern. Wenn nun der Grundstückseigentümer wie bei der Ersterschließung auch bei der grundhaften Erneuerung seinen Anteil in einer Summe bezahlen soll, wird er einwenden, dass es ihn nur zufällig mit der vollen Summe trifft, die Vorbesitzer aber gar nichts zahlen mussten.
Eine solche Regelung kann ihn schwer treffen, wenn er den Betrag nicht aufbringen kann. Daher werden einmalige Straßenbeiträge auch nicht als gerechte Lösung angesehen. Sie sind nur einfach umzusetzen. Aus diesem Grund wurden die wiederkehrenden Straßenbeiträge geschaffen, bei der niemand von hohen Beträgen überrascht wird und alle Grundstückseigentümer beteiligt werden, gleichgültig, wann sie ihr Grundstück erworben haben. Und wer die Ersterschließung oder eine grundhafte Erneuerung einmalig bezahlt hat, der wird für 20 Jahre verschont, um nicht doppelt bezahlen zu müssen.
Die Belastung ist so nicht von Zufällen abhängig und sie ist nicht existenzgefährdend hoch. Mit der in Griesheim nun gefundenen Lösung werden die Lasten gerecht unter den Grundstücksbesitzern, den Nutzern der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung und allen Bürgerinnen und Bürgern als Nutzern der Straßen verteilt sind.
Der Grundstückseigentümer bezahlt für den erstmaligen und den wiederholten Bau der Straße, die sein Grundstück zu seinem Vorteil erst wertvoll macht. Aber auch daran beteiligt sich die Gemeinschaft mit Steuermitteln. Der Nutzer der Wasserversorgung und der Abwasserentsorgung bezahlt den Teil der Straße, der wegen der Arbeiten an den Leitungen neu gebaut werden muss, mit seinen Gebühren. Und die Allgemeinheit zahlt neben ihrem Anteil an erstmaliger und wiederholter Erstellung der Straße insbesondere für die laufende Instandhaltung, die in erster Linie durch die Benutzung der Straße notwendig wird.
So trägt jeder einen angemessenen Teil der Last an der Straße, aus der er seine unterschiedlichen Vorteile zieht. Natürlich kann jeder der Ansicht sein, dass gerade er sich ungerecht behandelt fühlt und meint, weniger zahlen zu müssen. Die Stadt muss sich jedoch an Gesetze und Rechtsprechung halten. Außerdem kann niemand absolute Gerechtigkeit für jeden schaffen, die Stadtverordneten können nur für eine Regelung sorgen, in der Rechte und Pflichten in einem sachlichen Zusammenhang stehen.
Diese müssen auch so ausgewogen sein, dass jeder in den Rollen als Grundstückseigentümer, Eigenheimbesitzer, Vermieter oder Mieter damit zufrieden sein könnte, und sie müssen den Stärkeren etwas mehr zumuten als den Schwächeren. Wenn dies erreicht wird, dann ist das Ergebnis gerecht.

(ws)